• Defektgen Merle-Faktor

    Was ist das und welche Folgen haben diese Probleme für welche Hunde?

    Viele reden über den geheimnisvollen Begriff Merle. Woher kommt der bei Züchtern vielzitierte Begriff? Dr. Wilhelm Wegner, Professor am Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung an der Tierärztlichen Hochschule Hannover, vermutet den Begriff aus einer Kreuzung von marbled und marled für: marmoriert.

    Der Merle-Faktor verursacht eine charakteristische Fellscheckung mit Depigmentierung und irregulärer Pigmentverteilung in Haar, Haut und Auge. Das Defekt-Gen kommt bei vielen Hunderassen vor: Deutsche Doggen und Dackel der Farb-Bezeichnung "Tiger", Collies, Shelties und andere mit der Farb-Bezeichnung Blue Merle, Corgies, Foxhoundschläge, Dunkerhunden, einige Hütehundeschläge wie Bobtails, Australien Shepherds und Farbschläge des Altdeutschen Schäferhunds, seit wenigen Jahren auch der Beauceron.

    Die Tierärzte Willy Neumann und Heike Frese von der Veterinärklinik der Universität Giessen: "Wegen der interessanten Fellzeichnung und zum Erhalt des Genmaterials wird bei verschiedenen Zuchtverbänden mit diesem Gen gezüchtet und sind Rassestandards für die Merle-Färbungen formuliert worden. Zum Beispiel der perfekte Blue-Merle-Collie: schwarz gesprenkelt, aber niemals grossflächig schwarz gefleckt; Halskrause, Brust, Pfoten, Läufe und Schwanzspitze können weiss sein, ebenso die Blesse. Der Blue-Merle-Collie sollte braune Abzeichen aufweisen, wie sie vom Tricolor erwartet werden. Ein oder beide Augen können blau sein.

    Bei der Merle-Doggen unterscheidet man schwarz-weiss gefleckte Tiere von den Grautiegern (grau-weiss) und den Weisstigern (vorwiegend weis), von denen allerdings nur die schwarz-weiss gefleckten Tier "erwünscht" sind.

    Genetische Grundlage des Merle-Faktors

    Der Genetiker Wegner bezeichnet ihn als unvollkommen dominanten (vorherrschender) Erbfaktor mit Gross-Gen-Wirkung und breiter phänotypischer (erscheinungstypischer) Variabilität.

    Wegen fehlender exakter genetischer Nachweismethoden werden die Genotypen (veranlagte Typen) der Tiere anhand des Stammbaums und - abhängig vom Aufhellungsgrad der Haut und Haare in Prozent der Körperoberfläche festgestellt. Die Aufhellung von Haut und Haaren beträgt bei homozygoten (reinerbigen) Tieren 50 Prozent und mehr, bei heteorzygoten (mischerbigen) Tieren weniger als die Hälte der Körperoberfläche (Einteilung nach Comberg, 1972).

    Die Verlässlichkeit dieser Einteilung und die Klassifizierung des Merlefaktors als dominant wurde von Genetiker Jödicke (1990) in Frage gestellt, nachdem sich von der Erscheinung her merlefreie Tiere als zweifelsfrei mischerbige Merkmalsträger erwiesen hatten. Die übliche Einstufung des Merle-Gens als dominanten Faktor mit unvollständiger Penetranz bezeichnet Jödicke als Zugeständnis an die Tatsache, dass der Erbgang bis heute noch nicht vollständig verstanden wird.

    Merle als Defekt-Gen

    Die tiermedizinischen Wissenschaftler Neumann und Frese schreiben zum Grund, warum der Merle-Faktor zum Streitpunkt zwischen Erbgenetikern und Züchtern dieser Farbschläge geworden ist: Bei reinerbigen Trägern des Merkmals können unterschiedliche Missbildungen auftreten. Bei reinerbigen Weisstigern können, in unterschiedlicher Form und Häufung, Missbildungen des Auges und des Innenohrs auftreten, die bis zur völligen Taubheit gehen können.

    Der artige Tiere können in der Entwicklung hinter Wurfgeschwistern zurückbleiben, eine verminderte Lebensfreude zeigen und unter Umständen vor der Geschlechtsreife sterben. Die Gefahr des Auftretens reinerbiger Merkmalsträger besteht bei der Verpaarung zweier mischerbiger Elterntiere. Dieses Risiko wurde von einigen Züchtern in Kauf genommen, da gesunde reinerbige Welpen aus solchen Paarungen bei der Kreuzung mit Nicht-Merkmalsträgern Nachkommen mit aussergewöhnlicher Farbzeichnung erzeugen sollten.

    Der Genetiker Wilhelm Wegner weist in seinem Buch "Kleine Kynologie" (1995) auf "neuere Untersuchungen, die über Missbildungen durch Merle-Faktor zurückzuführen sind: "Elf Tigerteckel mit einem Aufhellungsgrad der Körperoberfläche von 50 Prozent und mehr zeigten ein- oder beidseitig, jedoch in variabler Manifestation, schwerste Augenanomalien.

    Diese Befunden wurden bei Wegner und Reetz 1975 und Dausch und Mitarbeiter 1977 dokumentiert und als klare Gendosiswirkung des unvollkommen dominanten Merlefaktors M interpretiert.

    Doch nicht allein Schadwirkungen des Merlefaktors auf Augenstrukturen fanden in diesen Untersuchungen ihre Bestätigung. In Tests auf Hörfähigkeit bei jenen Tieren zeigte sich, dass nicht weniger als 55 Prozent der Weisstiger und 37 Prozent der "normalen" Tigerteckel mit Hörverlusten geschlagen waren, die zum Teil an Taubheit grenzten. An verstorbenen Welpen dieser Merle-Kolonie wurden schwerste Innenohrveränderungen festgestellt und zugleich eine generell heraufgesetzte Jungtiersterblichkeit.

    Dies wird auch von wenigen Züchtern zugegeben.

    Neben den genannten Symptomen und den angeführten Einbussen männlicher Fertilität (Fruchtbarkeit) ist ferner die bei etwa der Hälfte dieser Tiger und Weisstiger ermittelte Störung des Schwimmvermögens bedeutsam. Einige dieser Tiere mussten nach kurzer Zeit aus dem Wasser gezogen werden, da sonst die Gefahr des Ertrinkens durch Gleichgewichtsstörungen bestanden hätte.

    Es gibt keine klaren Grenzen zwischen rein- und mischerbigen Tieren.

    Das heftige pro und Contra in einschlägigen Züchterkreisen über die zu treffenden Massnahmen zur Verhinderung der genannten "Gesundheitsstörungen" zeigt, dass man sich offenbar vielfach nicht darüber klar ist, dass in diesen Rassen mit einem Defektgen gezüchtet wird. Hier gibt es nur eine ethische Alternative: Die völlige Aufgabe des Züchtens mit dem Merle-Faktor.

    Es existieren genug andere Scheckungs- und Sprengelungsgene bei Hunden, die nicht mit Defektgenen gekoppelt sind und eine vergleichbar prächtige Zeichnung erzeugen würden."

    ©Rainer Brinks 2001